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Smart Science. Die Kieler ›Vorlesung mal anders‹ - Comics, Science Slams & mehr
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Smart Science. Die Kieler ›Vorlesung mal anders‹

buchcover_textpraxis»Am 10. Januar 2015 um 3:49 Uhr hat eine 17-jährige Schülerin aus Köln über den Nutzen der Schule getwittert: Sie könne eine Gedichtanalyse schreiben, habe aber »keine Ahnung von Steuern, Miete oder Versicherungen«. Die Schülerin plädiert für eine praxisnahe, den ökonomischen Gegebenheiten des Lebens angepasste Schule, und als Beleg für die derzeitige Praxisferne führt sie ausgerechnet die Literaturwissenschaft ins Feld. 16.239 Twitterer haben diese Klage geteilt und 29.815 favorisiert, die Redakteure des Focus haben daraufhin die Versäumnisse ihrer eigenen Lehrer aufgezählt: keine Hauswirtschaftslehre, kein Möbelunterricht – und keine Anmachtipps.

So unsinnig diese Diskussion insgesamt gewesen ist – der Hype darum blieb folgenlos und ist längst vorbei – sie hat offenbart, dass Gedichtanalyse so wichtig zu sein scheint wie ein abgerissener Knopf oder so lästig wie ein kippelnder Stuhl. Auch in den Medien haben viele auf den Tweet reagiert, sehr leidenschaftlich, in der Zustimmung ebenso wie in der Ablehnung. Selbst die Bundesbildungsministerin Johanna Wanka hat sich in die Diskussion eingeschaltet, ob wir in Zukunft neue Schulfächer brauchen: Mieten, Bankkonten, Bewerbungen anstelle von Barock, Bauhaus und Latein.

Brauchen wir die Kulturwissenschaften und wenn ja, wozu? Ulrich Greiner hat in der Zeit vom 22. Januar 2015 ein Plädoyer für die Nutzlosigkeit der ›Orchideenfächer‹ gehalten. Diese Fächer würden lehren, was ›das Schöne sei‹, und das »Schöne kann man nicht begründen, es ist evident. Wer ihm begegnet, sieht sich überwältigt, er will davon erzählen.« Und so evident – wie das Schöne – sei auch der Wert der Kulturwissenschaften, von denen Greiner schreibt, sie müssten sich nicht erklären, sie stünden jenseits des ›ökonomischen Nützlichkeitsdenkens‹.

Greiner hat Recht, wenn er die ästhetische Bildung als wesentlichen Teil philologischer Praxis versteht, Unrecht hat er allerdings, wenn er dem starken Rechtfertigungsdruck, unter dem Disziplinen wie die Literaturwissenschaft schon seit längerer Zeit stehen, ausweicht – und damit ein Kernproblem nicht in den Blick nimmt.

Denn die Kulturwissenschaft hat unseres Erachtens weniger ein inhaltliches Legitimationsproblem als vielmehr ein Vermittlungsproblem: Die Notwendigkeit, sich beispielsweise mit fiktionalen Medien wie Literatur, aber auch Comics oder Film zu beschäftigen, liegt darin, dass sie uns etwas über die Kultur sagen, in der sie entstanden sind. Gesellschaftlich relevante Themen werden dort reflektiert, und Texte wiederum prägen gesellschaftliche Diskurse. Fiktionen sind Ausdruck einer »kulturellen Selbstverständigung«. Als »Gegenstände der kulturellen Selbstwahrnehmung und Selbstthematisierung« ermöglichen sie den Zugriff auf Themen und Diskurse vergangener Zeiten ebenso wie der Gegenwart.

Liegt die kulturelle ›Relevanz‹ solcher Forschung also eigentlich auf der Hand, so scheint eine Ursache ihrer öffentlichen Marginalisierung in einem Problem der externen Wissenschaftskommunikation zu bestehen. Während die Kluft zwischen Forschung und Vermittlung im angloamerikanischen Raum traditionell nicht so stark ausgeprägt ist, steht gerade die Geisteswissenschaft in Deutschland unter dem Verdacht, eine Elfenbeinturmwissenschaft zu sein.

Für den Bereich der Philologie gesprochen: Obgleich fast jeder Bücher liest, sind literaturwissenschaftliche Bücher in Buchhandlungen praktisch nicht sichtbar, sie liegen irgendwo weit hinter den Straßenkarten (gibt’s die überhaupt noch?). Bestenfalls wenigen Intellektuellen wie Rüdiger Safranski gelingt es, einem größeren Publikum Aufmerksamkeit zu entlocken. Universitäre Veranstaltungsformen wie Tagungen oder Ringvorlesungen hingegen ziehen nur selten interessierte Studierende oder Fachfremde in größerer Zahl an – und zwar auch dort nicht, wo sich Wissenschaft mit der ›attraktiveren‹ Gegenwartskultur befasst.

Liegt dieser Mangel an Resonanz am fehlenden Selbstbewusstsein der Fächer, der Frage nach der Relevanz der eigenen Forschung offensiv zu begegnen, oder leiden sie unter einem übersteigerten Selbstbewusstsein, das sie von jeglicher Erklärung, weshalb kulturwissenschaftliche Forschung notwendig ist, entbindet? Beides lässt sich in der aktuellen Debatte feststellen: Selbsterklärungsversuche und völlige Erklärungsverweigerung.« Weiterlesen auf Textpraxis …

Zusammen mit Ingo Irsigler.
Erschienen in: Textpraxis. Digitales Journal für Philologie 10 (2015.1)

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