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Walter Moers – Ein großes Missverständnis?

Gerrit Lembke über Walter Moers im Literaturblatt (2013)Alle Jahre wieder werden die Buchhandlungen von befremdlichen Buchlingen bevölkert und die Verkaufstische mit neuer zamonischer Literatur bestückt. Sobald Walter Moers einen Roman ankündigt, rätseln die Feuilletons und Leserforen über das Thema und den Erscheinungstag. Und die wenigen Leser, die seine Romane nicht kennen, werden doch um die Comic- und Filmfiguren Kleines Arschloch, Käpt’n Blaubär oder Adolf, die Nazi-Sau, wissen. Walter Moers hat mit jedem seiner künstlerischen Projekte einen Erfolg gelandet, egal ob im Comic, im Film, in der Kunst oder in der Literatur. Inzwischen hat er zwischen 1999 und 2011 mit Die 13 ½ Leben des Käpt’n Blaubär, Wilde Reise durch die Nacht, Ensel und Krete, Rumo, Die Stadt der Träumenden Bücher, Der Schrecksenmeister und Das Labyrinth der Träumenden Bücher sieben Romane vorgelegt, die allesamt große Publikumserfolge waren und zugleich vom Feuilleton gefeiert wurden. Wenn bald die Fortsetzung der Roman-Serie über den fiktiven Kontinent ›Zamonien‹ erscheint, Das Schloss der Träumenden Bücher, werden die Erwartungen enorm sein. Alle lieben die von lesenden Buchlingen, buchverliebten Lindwürmern und herrschsüchtigen Haifischmaden bevölkerten Literaturlandschaften. Und sogar museale Ehren werden Moers zuteil: Momentan werden seine Skulpturen und grafischen Werke im Deutschordensmuseum in Bad Mergentheim ausgestellt.

Moers, so scheint es, hat es geschafft! Und dennoch: Er lässt sich nicht fotografieren, gibt keine Interviews, tritt nicht in Talkshows auf – und seine Romane sind nicht einmal originell. Er scheint alles falsch zu machen. Das Phänomen ›Moers‹ ist das größte Missverständnis der Literaturszene.

Literaturphantom: Schriftsteller ohne Inszenierung?

Zunächst einmal macht er sich rar. Er lebt zurückgezogen, weder vermarktet er sein Gesicht noch nimmt er Signierstunden wahr, er nutzt keine mediale Plattform, sondern wandelt gerade seine ikonische Unsichtbarkeit in symbolisches Kapital um. Es gibt nur wenige, ältere Fotografien des Verfassers und einen kurzen Film im Archiv des NDR, der Moers auf einer Ausstellung zeigt. Diese ›publizistischen Unfälle‹ aber liegen lange zurück und geben uns wenig Aufschluss über den Menschen Walter Moers. Biografische Informationen über sein Leben erhalten wir überhaupt nicht.

Neu ist dieses Mystifizieren des Autor-Egos keineswegs und Moers ist sich einer gewissen Tradition durchaus bewusst; so hat er selbst die Ähnlichkeiten mit Thomas Pynchon, Patrick Süskind, J. D. Salinger oder B. Traven augenzwinkernd bemerkt. Auch diese Autoren haben sich als öffentlichkeitsscheue Phantome inszeniert.

So entsteht der Rummel um den großen Unbekannten Moers auch aus dem Bewusstsein heraus, dass sein Porträt in unserer bildergesättigten Zeit weitaus weniger wert ist als das kostbare Geheimnis um seine Person. Dieses Geheimnis ist so wertvoll, weil ein Schnappschuss bei Facebook oder ein Youtube-Video die schöne Schatzsuche jederzeit beenden könnte. Die Demonstration medialer Unverfügbarkeit ist in Zeiten, in denen das Bedürfnis nach publizistischer Öffentlichkeit so groß ist wie heute, ein rares und wertvolles Gut.

Es gibt viele konspirative Vermutungen über die Identität dieses Walter Moers: etwa, dass ein Autorenkollektiv unter dem gemeinsamen ›Label‹ Moers firmiere; oder dass in Wirklichkeit der Verleger Wolfgang Ferchl der Autor sei. Oder – und das wäre viel zu spektakulär, als dass man es glauben könnte: Walter Moers ist wirklich Walter Moers und schreibt ganz allein diese wundervollen Bücher, die er auch selbst illustriert. Dies wäre vielleicht der größte Skandal von allen.

Bibliographische Angabe:

Vollständiger Text im Literaturblatt
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Gerrit Lembke: Walter Moers. Ein großes Missverständnis? In: Literaturblatt für Baden-Württemberg Juli/August 2013, S. 6–8.

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